Altamira – ein Weihnachtserlebnis
Autor: Mathias Sticher SMB (Ghostwriter: Markus Isenegger)
Mit Bruno Meyerhans verbindet mich die Erinnerung an Weihnachten 1971 in Kolumbien. Wir beide waren erst kurze Zeit im Land gewesen, steckten noch im Sprachstudium von Bogotá. Über die Festtage konnten wir im Regionalhaus von Popayán absteigen, das eine gute Flugstunde von der Hauptstadt entfernt im Distrikt Cauca liegt. Damals wirkten die Immenseer Missionare in diesem Gebiet, die Mehrzahl ehemalige China-Missionare, die wegen der Präsenz der Kommunisten aus der Mandschurei hatten fliehen müssen. Adolfo Lenz war einer der letzten von ihnen, und diesen wollten wir über Weihnachten besuchen. Er lebte in einem abgelegenen Dorf der Westkordilleren: Policarpa. Um dorthin zu gelangen, nahmen wir den Linienbus auf der Panamericana-Strasse südwärts, die Fahrt dauerte drei Stunden und führte an den Dörfern El Bordo und Patia vorbei bis zum Pueblito Remolino, einer Haltestelle. Dort begann der Fussmarsch.
Ich empfand Bruno als angenehmen Begleiter, ein bisschen scheu, aber umgänglich, wir kamen gut voran. Nach einigen Stunden Aufstieg erreichten wir den Weiler Altamira, eine Aussenstation von Padre Adolfo Lenz, jedenfalls gab es dort ein Kirchlein und eine Sakristei, worin zu übernachten wir beschlossen. Es ging nicht lange, bis die Leute auf uns zukamen, sie möchten gerne eine Messe, es seien ja bloss zwei Tage bis zur Weihnacht, und wenn schon Besuch da sei, wollten sie die Gelegenheit nutzen. Bruno war ordinierter Priester (von mir konnte ich es damals noch nicht sagen), und so stand der Feier kaum etwas im Wege, ausser den Messutensilien. Diese waren von Padre Adolfo an dem Aussenposten belassen worden, damit er jeweils auf dem mühsamen Ritt nicht das Gepäck mitschleppen musste. Da war eine Kiste mit Kelch, Wein, Büchern und Tüchern, jedoch verschlossen. Lenz hatte ein Vorhängeschloss an seine einstige Überseekiste angebracht. Uns blieb, nach etlichem Hin und Her, kaum etwas anderes übrig, als gleichsam die Kiste zu «sprengen», das heisst, das Schloss zu zertrümmern und dabei die Kiste zu beschädigen.
Heute staune ich, dass der schüchterne Bruno für so was zu haben war, aber wir beide dachten: «Das Sakrament geht vor!» Schliesslich war ja Weihnachten. Bruno feierte, und die Leute waren glücklich, wir taten, was ihnen entsprach. Tags darauf erreichten wir Policarpa und trafen Padre Adolfo an, der sich sehr freute, doch als wir ihm unsere spontane Missionsaktion schilderten, schaute er weniger freudig aus. Dies aber tat dem farbenfrohen Volksfest keinen Abbruch. Mit meinem netten Begleiter Bruno kehrte ich darauf zurück. Später verloren wir uns aus den Augen; irgendwann lebte Bruno in Zürich und Winterthur. Aber diese eine Weihnacht 1971 bleibt mir – nach über fünfzig Jahren – lebendig in Erinnerung.
Bruno Meyerhans, 14. Juli 1940 bis 10. September 2024
Von 1971 bis 1986 Einsatz in Kolumbien; danach Arbeit auf einer Bank in Winterthur bis zur Frühpensionierung. Im Jahr 2000 Ausschied aus der SMB. «Kolumbien war für ihn harte Arbeit und Aufopferung, aber mit wunderschönen Erlebnissen und Erinnerungen. Bruno schaute mit Dankbarkeit und Stolz auf jene Zeit.»
Über Adolf Lenz
Adolf Lenz war einer der um 1950 aus China ausgewiesenen Bethlehem-Missionare. Diese wurden, zurückgekehrt ins Mutterhaus in Immensee, an verschiedene Orte gesandt, wo nach Missionaren gefragt wurde. Mehrere wurden zu den entlegenen Campesinos-Siedlungen in den Westanden Kolumbiens geschickt. Auf einsamem Posten stellten sie sich den Menschen, ebenfalls neu angekommene Siedler auf Landsuche, als Begleiter und Missionare zur Verfügung. Jahrelang harrte auch Adolf Lenz in dem entstehenden Bergdorf Policarpa aus. Er machte es sich zur Aufgabe, die Personaldaten der Bewohner im Taufregister zu erfassen und ihnen in Kirche und Staat eine Identität zu geben. Nach vielen Jahren traf ich in der Stadt Tumaco an der Pazifikküste Menschen von Policarpa an. Sie berichteten mir von Padre Adolfo und sagten, dass die Menschen in Policarpa ihn als ihren Heiligen verehrten.