Im Nachlass des am 21. April 2023 verstorbenen Joe Elsener SMB fand dessen Bruder Otmar einen persönlichen Rückblick aus dem Jahr 2020. Wir dokumentieren hier zwei Auszüge daraus.
Kurs in Social Leadership
1963 wurde der junge Missionar Joe Elsener von Südrhodesien nach Antigonish in Kanada gesandt, um an der dortigen Universität einen Kurs in Social Leadership zu absolvieren. Dieser basierte auf den Erfahrungen der Antigonish-Bewegung, in der es Bauern, Fischern, Minenarbeitern und anderen unterprivilegierten Gruppen gelungen war, durch Erwachsenenbildung, Genossenschaften, Mikrofinanz und ländliche Gemeindeentwicklung ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu verbessern. Hier der Rückblick von Joe Elsener auf diesen Kurs.
Ich sehe sie noch immer vor mir, obwohl es schon fast fünfzig Jahre her sind: die 62 Männer und Frauen aus 29 Ländern, die wir für neun Monate im nordischen Kanada zusammen waren. Von einigen sind mir die Namen entfallen, von anderen sind sie mir unauslöschlich ins Gedächtnis eingeritzt. Wir hatten uns nicht gekannt und waren uns völlig fremd, und doch beherrschte uns eine Vision: «das volle und überreiche Leben für jeden und jede in der Gemeinschaft». Da waren Takeuo, von den Truk-Inseln in Mikronesien, und Edsel, der Indianerführer vom Stamm aus Ontario, Kanada. Phaiphan, die zärtliche Buddhistin, kam aus Thailand. John aus Uganda rühmte sich, bereits Grossvater zu sein. Brasilien war durch den Priester João Comaru vertreten. Wir lebten aufs Engste zusammen, mitten im Winter an der stürmischen Ostküste. Die Mehrzahl von ihnen hatte noch nie Schnee gesehen und noch nie so anhaltend tiefe Temperaturen erlebt. Kein Wunder, dass hin und wieder die eine oder der andere mit Erkältung im Bett lag.
Die 80 bis 100 Seminaristen im Alter von 20 bis 30 Jahren in den sechs Kursen «Social Leadership» 1963/64 an der St. Francis Xavier University in Antigonish im nördlichen Kanada. Joe Elsener in der 2. Reihe oben rechts.
Wir widmeten uns gemeinsam einem Erwachsenenbildungsprogramm mit dem Ziel: Menschen sollen Meister ihres eigenen Lebens werden. Das soll beginnen mit Ausbildung und Aktion in Wirtschaftsfragen. Wir büffelten die «Rochdale-Genossenschaftsprinzipien» und tauschten in endlosen Gruppendiskussionen unsere Erfahrungen mit der Gründung und Führung von finanziellen Genossenschaften, sogenannten Credit Unions oder Raiffeisenkassen, aus. Von den Idealen von Gemeinschaft wurden wir so inspiriert, dass der Afrikaner John Ssemugoma nicht verstehen konnte, warum in Kanada für das Schaufeln von Grabstätten Männer von der Gemeindeverwaltung angestellt wurden; das sei doch eine freiwillige Aufgabe der ganzen Gemeinde! Mit Tom Kingasia von Kenia feierten wir am Neujahr 1964 die politische Unabhängigkeit seines Heimatlandes. Für mich war es eine unglaublich glückliche Zeit: Ich lernte, mit Menschen verschiedenster Herkunft und Abstammung und verschiedener Religionen auf engstem Raum friedlich zusammenzuleben und gemeinsam zu denken und zu handeln. Es war wahrlich eine geschenkte Zeit. Von dieser positiven Erfahrung zehrte ich noch über Jahre hinaus, vor allem als Ian Smith und seine Partei im damaligen Rhodesien leider die Gesetze getrennter Rassenentwicklung verschärften. Ich wusste aus ganz persönlicher Erfahrung: Das friedliche und fruchtbringende Zusammenleben verschiedener Rassen ist möglich.
Joe Elsener (rechts) mit zwei Kollegen bei der Diplomfeier in Antigonish in Kanada 1964. Foto: Archiv SMB
RomeroHaus
Der Bau und die Eröffnung des RomeroHauses in Luzern fielen in die Zeit, als Joe Elsener Generaloberer der SMB war. Hier seine Gedanken dazu im Rückblick.
Das Projekt eines Missionarischen Zentrums in Luzern lag eigentlich am GK 1981 beschlussbereit vor. Das «Missionarische Bildungszentrum» war gedacht als Studienhaus für etwa 20 Seminaristen der SMB, die sich auf ihr missionarisches Lebensengagement vorbereiten – als Studenten an der Theologischen Fakultät Luzern oder als Brüder an beruflichen Ausbildungsstätten. Das Zentrum sollte auch missionarisches Kurshaus sein, in erster Linie für «Interteam» und seine Ausbildungsbedürfnisse für zukünftige Laienmitarbeitende. Darüber hinaus wurde es als Zentrum für missionarische Information und Bildung gesehen. Es sollte zur missionarischen Aktivierung der Heimatkirche beitragen mit verschiedenen Initiativen der Bewusstseinsbildung. (…)
Das Generalkapitel genehmigte das Projekt, und die neue Generalleitung stand damit vor dessen Verwirklichung. Konzept und Bau beschäftigten den Generalrat praktisch an jeder Sitzung. Verschiedene Kommissionen tagten und ihre Entscheide wurden durch den Rat genehmigt. Eine Zeitlang wollte sich die Caritas Schweiz dem Bauprojekt anschliessen, aber die langwierigen Verhandlungen zerschlugen sich. Das notwendige qualifizierte Personal wurde gefunden, und am 14. März 1986 wurde das Zentrum in Betrieb gesetzt. Für den Namen des Hauses war in den «Officiosa» eine Umfrage gestartet worden, die aber erfolglos war. So beschloss der Generalrat den Namen «RomeroHaus» im Andenken an Erzbischof Oscar Romero, der am 24. März 1980 in San Salvador erschossen worden war. (…)
Und die Bilanz des Hauses? Im Seminarbereich lebte nur gelegentlich jemand, der sich der Missionsgesellschaft Bethlehem als Mitglied anschliessen wollte oder tatsächlich anschloss. Der von «Interteam» geführte Vorbereitungs- und Ausreisekurs für zukünftige Mitarbeitende wurde nach einigen Jahren aus dem RomeroHaus ausgelagert. So gesehen hatten die pessimistischen Stimmen zum kirchlichen und missionarischen Nachwuchs zum grossen Teil Recht bekommen.
Bei der Einweihung des RomeroHauses in Luzern am 14. März 1986: Bischof Otto Wüst (Mitte), Bischofsvikar Max Hofer (links) und SMB-Generaloberer Joe Elsener (rechts). Foto: Archiv SMB
Es eröffneten sich aber neue Möglichkeiten: Schon bald wurden andere Theologiestudierende aufgenommen, die zu einer lebendigen Wohn- und Lebensgemeinschaft im Hause wurden. Und obwohl keine andere missionarische Gemeinschaft dem Aufruf zur Beteiligung am Haus gefolgt war, wurde doch die rege Mitarbeit von Nicht-SMB-Mitgliedern in der Forschungsgruppe zu einem ihrer Kennzeichen.
Das RomeroHaus trat in unverwechselbarer Art und Weise mit einer breiten Öffentlichkeit in Dialog und förderte ein solidarisches, spirituelles Engagement in Gesellschaft und Kirche. Es trug zu einem guten Image der Bethlehem Mission und ihrer missionarischen Projekte bei. Ich möchte aber nicht genauer untersuchen, wie weit tatsächlich bekannt war, dass das RomeroHaus «den Immenseern» gehörte und von ihnen geprägt wurde; wohl den wenigsten ist der Unterschied zwischen SMB und BMI klar! Das RomeroHaus profilierte sich vor allem durch die Schwerpunktsetzungen auf Nord-Süd-Fragen, durch einen offenen Dialog mit anderen Kulturen und Religionen sowie durch die kritische Auseinandersetzung mit relevanten gesellschaftlich-politischen Fragestellungen. Ich bin überzeugt, dass es dazu beitrug, dass sich in der Schweiz mehr Menschen gründlicher mit dem Nord-Süd-Konflikt und mit der (neoliberalen) Globalisierungsproblematik auseinandersetzen, sich für eine weltweite Armutsbekämpfung engagieren, partnerschaftliche internationale Beziehungen einüben sowie sich entwicklungspolitisch einmischen. Aus einer feministischen Parteinahme heraus wurde auch die Geschlechterperspektive in den Themenbereichen berücksichtigt.
Das Romero Haus während der Bauphase. Foto: Archiv SMB