Charles Renner

Abschied von Charles Renner (* 21.3.1931; † 17.12.2020), Bethlehemmissionar SMB.

29.12.2020

Lebenslauf

geboren 21. März 1931
Priesterweihe 22. März 1959
Japan: Vikar in Morioka-Yotsuya 1962 – 1970
Pfarrer in Miyako: Aufbau und Leitung von Pfarrei und Kindergarten 1970 – 2001
Immensee: Mitarbeit im Bildungsdienst der Missionsgesellschaft 2001 – 2003
Aushilfen in Altdorf und Bürglen 2004 – 2014
Missionshaus: Liturgie; verschiedene Dienste für Mitbrüder 2015 – 2020
verstorben 17. Dezember 2020

Nachruf (von Pablo Meier SMB)

Lieber Charles

Dein Tod macht uns traurig. Wir sind mit deinen Angehörigen und Befreundeten mehr als betroffen, wir sind verletzt. Als Mit-Verletzte nehmen wir teil an deiner blutenden Kopfverletzung in der kalten Nacht Deines Sterbens. Charles, deine eigenen Notizen beantworten zögerndes Fragen wenigstens teilweise. Wir versuchen in zehn Schritten dein Leben und Wirken im Zusammenhang zu sehen.

Lk 12,32

«Sei ohne Angst, du kleine Herde! Euer Vater will euch seine neue Welt schenken.»

WER war – WER ist Charles?

  1. Fast noch ein Flüchtlingskind war Charles bei der Geburt, denn sein Vater Josef war geflohen – der junge Mann war auf der Flucht vor der Urner Justiz und mit der finanziellen Hilfe des Dorfpfarrers – buchstäblich bei Nacht und Nebel ins ferne Nordamerika. Er hatte gewildert. Durch die Flucht entkam er der Justiz, er arbeitete auf einer Farm in Eureka, Kalifornien, bis die Urner Polizei den Fall «vergessen» und er etwas Geld verdient hatte. Dann kam er zurück, traf seine grosse Liebe, die Mutter Mathilde Schuler, heiratete und gemeinsam fuhren sie nur noch für kurze Jahre zurück nach Kalifornien, wo auch
  2. Charles als «Amerikaner» geboren und im Passdokument der Mutter als Clyde Joseph eingetragen wurde. Die inzwischen vierköpfige Familie kam zurück in die Schweiz, wo «Clyde» als «Charles» ins Taufbuch eingetragen wurde. Der Familie wurden nach Claire und Charles noch zwei Mädchen geschenkt. Die Kinder bildeten zusammen mit Nachbarkindern eingeschworene Rasselbanden, die im Dorf ihre Streiche spielten, im Pfarrgarten die ersten Birnen stibitzen oder das Spinatbeet zum Schrecken der Mutter grosszügig den Hühnern verfütterten. Als geweckter Knabe wurde Charles
  3. Geisshirt vom Schächental. Jeden Morgen führte er die Herde meist hoch hinauf auf die Bergweiden, abends trieb er sie wieder talwärts. Oft habe ihn die Einsamkeit und gelegentlich an nebligen Tagen auch die Angst vor Gespenstern geplagt. Hat die Verantwortung für das Wohl der Herde Charles für seine künftige Lebensaufgabe geprägt?
  4. Seine Schüler und Gymizeit, sagt Charles, habe er eher mit weniger Begeisterung durchlaufen. Zu oft habe ihm etwa Hans Krömler den Aufsatz mit «banal», «Gemeinplatz» und mässiger Note beurteilt. Charles hat sich selbst eher zu bescheiden eingeschätzt. Er war fast verwundert, dass er
  5. ins Seminar aufgenommen wurde. Er schreibt: «menschlich gesehen hatte ich nicht die geringste Aussicht und Voraussetzung zum Priestertum. Dass Gott mich trotzdem in seinen Dienst gerufen … und es mit mir gewagt hat, das hat mich stets beglückt und auch beschämt … Gottes Grossmut ist unüberbietbar. Deo gratias!» In den sieben Seminarjahren vertiefte Charles sein Leben aus dem Glauben an die unbedingte Liebe Gottes. An diesem «Deo gratias» hielt er unbeirrt fest – selbst in der schweren Prüfung, als sein gütiger Vater bei der Arbeit von einer Lawine verschüttet wurde und seine Leiche erst im Frühling gefunden und begraben werden konnte. Charles nahm, schon im Seminar, beides an: das Leiden, aber auch die Freuden, wenn er etwa an freien Tagen Mitstudenten zur Wallfahrt ins Riedertal führen konnte. Gelegentlich durften wir dann seiner Mutter, der wackeren Hebamme begegnen, die bei einigen als «unsere liebe Frau vom Riedertal» in lebendiger Erinnerung geblieben ist.
  6. Charles der Japan-Missionar. Zur Destination schreibt Charles: «Es war mein stiller Wunsch, in Afrika «Buschmissionar» zu werden. Aber ohne Vorwarnung verkündete der Generalobere beim Abendtisch: «Renner und Züger gehen im Herbst nach Japan.» Ich traute meinen Ohren nicht. Was soll ein armseliger Geisshirt vom Schächental im kulturell hochstehenden Japan ausrichten … auf welch unvorstellbares Abenteuer mit mir einlassen? Hoffe, es reue Ihn nicht!»
  7. Missionarische Lehrjahre erlebte Charles als Vikar bei erfahrenen Missionaren. Dann erst wurde er vollverantwortlich für den Aufbau einer Christen-Gemeinschaft in der Stadt Miyako. «Aufbau» – wie? Von den älteren Missionaren hatte er gelernt, dass erwachsene Menschen in Japan vor allem über deren Kinder zu erreichen sind. Charles übernahm zur Pfarreiarbeit hinzu auch die Organisation eines Kindergartens. Er war der einzige Mann im Leitungsteam – und damit eine Art Vaterersatz. Die über 200 Kinder waren meist aus Kleinstfamilien – also viele Einzelkinder, die möglichst früh sozialisiert, also gemeinschaftsfähig erzogen werden sollten. Charles war dafür
  8. der richtige Mann, der ungewohnte Wege ging. Er erzählte, wie er jeden Morgen am Hof-Tor jedes Kind persönlich begrüsste und ihm so zeigte: «Du bist willkommen.» Wie er weiter jeden Tag mit wechselnden Kindergruppen mindestens eine Stunde lang zusammensass – auf Augenhöhe – und diesen (ungetauften) Kindern Geschichten erzählte, meist von der Bibel, oft von Jesus – wie er mit den Kindern um die Wette lief, mit ihnen lachte, Blödsinn machte. Ist auch dies Missionsarbeit? – Das war seine kindgerechte Japan-inkulturierte Missionsmethode. Sie hat Frucht getragen. Die Kinder haben ihm zuerst vertraut – die Eltern haben gestaunt, wieviel die Kinder dem Kindergartenchef anvertrauten. Charles schreibt in einer Notiz: «Erstaunlich, was in ihren Herzen drin ist an Sorgen, Angst, Fragen, Frohem und Unverdautem … von diesen gemeinsamen Spielstunden erzählen Ehemalige immer wieder als bleibende Erlebnisse.»
  9. Höhepunkt im Kindergarten war ein alljährlich neu geschriebenes Krippenspiel an Weihnachten. Da standen bis 80 Kinder auf der Bühne, die Mütter und Väter sassen, stolz auf ihr Kind, im Publikum. Das Vertrauen der Kinder griff über auf die Eltern. Charles wurde immer öfter von Elterngruppen eingeladen, um über seine Erziehungsmethoden zu sprechen. Sogar der Stadtrat war von Charles‘ Erziehungsarbeit beeindruckt. Als ersten Ausländer hat die Stadt Miyako 1992 Charles mit dem Kulturpreis geehrt.
  10. Charles, du Erwählter. Auch dir gilt, was Gott dem Propheten Jeremias in der Lesung gesagt hat: «Sag nicht, ich bin zu jung, ich verstehe doch nicht zu reden – gehe zu denen, zu denen ich dich sende, Fürchte dich nicht, denn ICH BIN MIT DIR.» Wie Charles‘ Antwort darauf war, sagt er knapp und klar in seinen Lebensnotizen: «Die Japanjahre zählen zu den glücklichsten meines Lebens – darum soll der Abschiedsgottesdienst ein österlich-dankerfüllter sein.»

Und wir? Wir denken in der Eucharistiefeier auch an die noch kleine Christengemeinschaft in Japan, von der Charles mit fast paulinischem Selbstbewusstsein schreibt: «Wir haben die Fundamente errichtet, auf der die einheimische Kirche weiterbauen kann.»

Dein Sein und dein Wirken, Charles, besiegelt die weihnächtliche Botschaft vom Evangelium: «Fürchtet euch nicht! – Auch du, kleine Herde, sei ohne Angst – denn der Vater will euch SEINE NEUE WELT SCHENKEN» (allen – auch uns). Sagen wir mit Charles: Deo gratias.