Nach der Ausweisung aus China fand ein Teil der Bethlehem-Missionare in Kolumbien ein neues Einsatzgebiet. Es war die erste Auslandmission der Missionsgesellschaft Bethlehem in Südamerika – und später das erste Land mit Equipen-Einsätzen.
Die ausgedehnten, fruchtbaren Landflächen Kolumbiens befanden sich seit jeher in den Händen von wenigen Landbesitzern. So drangen landlose Campesinos immer mehr in unwegsame, unerschlossene, gebirgige Gegenden der südlichen Kordilleren vor, besetzten oder erwarben sich ein Stück Land und bildeten nach und nach Dörfer. Diesen katholisch getauften und erzogenen Menschen fehlten jedoch adequate politische, rechtliche und geistliche Dienste.
Auf Einladung und Drängen des Erzbischofs von Popayan entsandte die Missionsgesellschaft Bethlehem in den 1950er-Jahren Missionare, die aus dem kommunistisch gewordenen China ausgewiesen worden waren, in die südliche Westkordillere zwischen Popayan und Pasto. Dort lebten die (nicht mehr jungen) Priester inmitten der Bevölkerung.
Damals gab es kaum Infrastruktur wie Strassen, Elektrizität oder Wasserversorgung, geschweige denn eine «wohnliche Kultur». Die Missionare besuchten die Menschen in den abgelegenen Weilern, versammelten sie zu Unterricht und Gottesdienst und ermunterten sie zu einem solidarischen Zusammenleben in gegenseitiger Achtung und Würde.
Das zweite Vatikanische Konzil und das darauffolgenden Generalkapitel 1967 der Missionsgesellschaft gaben den Anstoss, die von den ehemaligen Chinamissionaren betreuten Gebiete, nicht mehr «nur» als «Kirche in Not» zu verstehen, sondern als «Kirche und Gesellschaft im Aufbau», also als echtes Missionsgebiet.
Mobile Teams zusammen mit Laien
Ab den 1960er-Jahren kamen in den Tätigkeitsgebieten der Missionsgesellschaft erstmals so genannte Equipen zum Einsatz: Laienmitarbeiterinnen und Laienmitarbeiter aus der Schweiz unterstützen die Bethlehem-Missionare für eine bestimmte Zeit bei ihrer Arbeit. Die aus verschiedenen Berufen – vor allem Krankenpflege, Sozialarbeit, Bildung, Landwirtschaft und Handwerk – zusammengesetzten Teams hatten den «integralen Gemeindeaufbau» als Ziel ihrer Projekte.
Mit Hilfe der Equipen sollten die «Eigenkräfte» der Bevölkerung in wirtschaftlicher, sozialer und kirchlicher Hinsicht aktiviert werden, damit sie aus eigener Initiative an den Aufbau ihres Gemeinwesens gehen konnten. Dabei wurde auch viel Wert darauf gelegt, die christliche Gemeinde und ihre Überzeugungen in den Prozess zu integrieren.
Auch in den bisher von einzelnen Missionaren betreuten Gemeinden wurden nun gemischte mobile Equipen eingesetzt, die mit ihrem Gemeinschaftsleben einen Beitrag zu einer positiven Veränderung in den Gemeinden leisteten. Sie halfen mit in der Ausbildung von Fach- und Führungskräften in Handwerk (Schreinerei), Ernährung (Hauswirtschaft, Gartenbau), Gesundheit (Krankenpflege) und Katechese.
Die Arbeit in Kolumbien heute
Heute ist noch ein Mitglied der SMB trotz des fortgeschrittenen Alters in einem wegen reicher Mineralvorkommen von Gewalt und Terror beherrschten Gebiet in der Indigenen- und Menschenrechtspastoral engagiert. Ein weiteres Mitglied begleitet indigene Gruppen an der Pazifikküste und ein dritter Missionar arbeitet in der Bischofsstadt Popayán in der Leitung des regionalen Sitzes der Missionsgesellschaft.
Beispiele von Equipen-Einsätze in Kolumbien
Im Sommer 1970 trafen sich in Bogota die vier Mitglieder der sich neu bildenden Equipe: die Krankenschwester aus ihrem Einsatz in Haiti, die Sozialarbeiterin aus Brasilien, der Priester aus seinem Einsatz in München und der Agronom aus Immensee.
Beim Sprachstudium und der Einführung in die Situation sowie die Verhältnisse in Kolumbien lernte man sich besser kennen. Die junge Equipe unter Orientierung eines Sozialpsychologen einigte sich dabei gemeinsam auf die Arbeitsmethode des Brasilianers Paulo Freire.
Im Dorfe Leiva, in der Westkordillere, wo seit zwei Jahren Bethlehem-Missionar Fridolin Höin wirkte, wurde mit dem Besuch der Menschen in den Dörfern und Weilern begonnen. Es entstand so ein Bild der Wirklichkeit, in der die Leute lebten. Ausserdem schaffte dies eine erste Beziehung des Vertrauens zu den Menschen, mit denen man sich auf den Weg begeben wollte, mit denen man das Leben zu teilen bereit war.
Dialog als Grundhaltung
Indessen orientierte sich jedes Equipenmitglied nach seinem mitgebrachten Beruf: Die Krankenschwester hatte den bisher unbesetzten Krankenposten schon nach wenigen Tagen voll mit Patienten, der Priester wurde in die weitläufige Pfarrei geholt.
Nur die Sozialarbeiterin und den Agronomen konnten die Campesinos nicht einordnen, sahen nicht, wofür sie zu gebrauchen waren. Mit Geduld suchten diese den Kontakt mit den Menschen und liessen nach und nach an ihren Vorschlägen interessierte Gruppen entstehen. Von einer systematischen strikten Arbeitsmethode nach Freire – Bewusstseinsbildung mit dem Ziel zu Veränderungen – blieb nicht mehr viel übrig.
Trotzdem, die Gesprächshaltung den Menschen gegenüber, der Dialog als Grundhaltung, die Achtung vor der Meinung der andern, das Lernenwollen von ihnen, haben alle Equipenmitglieder versucht aufrechtzuerhalten. Im Verlaufe der Jahre konnte die Krankenschwester eine handvoll Mädchen als Krankenschwestern ausbilden, die Sozialarbeiterin hinterliess zuletzt eine für Verbesserungen gut motivierte Frauengruppe.
Veränderung in der Gesellschaft
Gemeinsam als Team gestalteten die Mitglieder der SMB-Equipe einen sogenannten Leaderkurs für Männer und Frauen. Nach einiger Zeit gaben die Frauen ein positives Feeback dazu: ihre Männer seien anders geworden, verantwortungsbewusster, gesprächsbereiter, gewaltloser und offen für Veränderungen.
Ebenso in Gemeinsamkeit und unter bautechnischer Leitung von Br. Carlos entstand ein Zentrum zur Beherbergung von Landkindern, das ihnen den Besuch der Dorfschule ermöglichte.
Mit dem Entscheid des SMB-Generalkapitels von 1967 in Kolumbien eine gezielte Missions- und Gemeindeaufbauarbeit zu leisten, stellte sich für die schon älteren ehemaligen China-Missionare eine neue Herausforderung. Um ihr zu entsprechen, rief die Leitung der SMB in Popayan in Kolumbien mit Luis Alfonso Wolfisberg als Regionaloberen eine mobile Equipe ins Leben, die diesen in ihrer pastoralen Tätigkeit an die Hand gehen sollte.
Marius Andrey und Rosmarie Gisler, die in der Pfarrei Argelia/Cauca bereits langjährige Erfahrung in der Pastoralarbeit mit der Bevölkerung der Campesinos gesammelt hatten, wurden mit der Bildung des Teams beauftragt.
Hoffnung dank Selbstwirksamkeit
In mehreren Gemeinden entstand eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Ortspfarrer und dem Team. Der ortskundige Pfarrer mit seinen Kontakten zu den Leuten suchte die Kandidaten für eine Weiter- und Ausbildung aus, das «Equipo», wie die Equipe in der Lokalsprache genannt wurde, erarbeitete didaktisches Arbeitsmaterial und führte die Kurse durch.
Mit der Zeit verfügte jede Gemeinde über gut motivierte und ausgebildete Führungskräfte, die ihren Wohn- und Kirchgemeinschaften gegenüber Verantwortung übernahmen und die Menschen mittels Techniken in Hauswirtschaft, Ernährung und Gesundheit zu einer verbesserten Lebensqualität verhalfen. Das Leben der Menschen, auch jenes der Missionare auf ihren einsamen Posten, veränderte sich: Hoffnung stellte sich ein, wo man sich vergessen und verlassen gefühlt hatte.
Aus der Tätigkeit der Equipe «Movil» entstand unter der Initiative und Leitung von Rosmarie Gisler das Zentrum «La Josefina» zur Ausbildung von weiblichen Promotoras (Animatorinnen), die sich danach den Landpfarreien für die Ausbildung von Frauen zur Verfügung stellten. Im gleichen Zentrum bildete Bruder-Missionar Alois Arnold Schreiner aus, durch deren Tätigkeit die Häuser der Campesinos wohnlich wurden, was das Leben auch in abgeschiedenen Berggegenden annehmbar machte.