Ende April hat in der Abteilung für Ethnomusikologie an der Universität von Los Angeles in Kalifornien (UCLA) ein Vortrag über Josef Lenherrs Feldforschungen indigener Musik aus Taiwan stattgefunden. Den Vortrag hielt Dr. Mei-Chen Chen, Ethnomusikologin an der UCLA.
Quelle: University of Los Angeles in California (UCLA)
Josef Lenherr war ein Missionspriester und Musikethnologe der Missionsgesellschaft Bethlehem SMB, der auch als Gastwissenschaftler an der Academia Sinica in Taiwan tätig war. Zwischen Februar und September 1965 führte Lenherr in Taiwan Feldforschungen in Hengchun, Taitung und Hualien durch, wo er eine Vielzahl indigener Musik aufnahm, darunter religiöse und heilige Lieder, Kinderlieder, christliche Lieder und Arbeitslieder sowie Han-chinesische Genres wie das Hengchun-Volkslied: lâm-kuán und kua-á. Zu den von ihm aufgenommenen indigenen Gruppen gehören die Amis (15 Dörfer), Bunun (10), Paiwan (11) und Puyuma (4). Die Sammlung enthält auch Musik der Rukai und Yami, die von anderen Personen kopiert wurden. Dieser Reichtum an Material lag jedoch fast sechzig Jahre lang vernachlässigt in einem Archiv und wurde von den Wissenschaftlern kaum zur Kenntnis genommen. Dank des Archivs für Ethnomusikologie der UCLA wurde diese Sammlung kürzlich digitalisiert und steht nun für weitere Untersuchungen zur Verfügung. Der Vortrag hat die unerzählte Geschichte von Josef Lenherrs Werdegang in Taiwan und den potenziellen Wert dieser Aufnahmen für die heutigen indigenen Gemeinschaften Taiwans in einen Kontext gestellt.
Dieses Foto wurde im März 1965 aufgenommen. Hermann Brun, SMB (erster von links), Josef Lenherr, SMB (Mitte) und Dominik Steiner, SMB (erster von rechts), versammelten sich in der katholischen Kirche von Chang Pin, um den Einheimischen beim Singen traditioneller Ami-Lieder zuzuhören. Das Gerät von Hermann Brun war damals das neueste Tonbandgerät, mit dem der Gesang der indigenen Völker aufgezeichnet wurde.
(白冷會林若瑟神父紀錄阿美族傳統歌謠), Bethlehem Mission Society(白冷外方傳教會). Archiviert von der Taiwan Cultural Memory Bank unter https://memory.culture.tw/Home/Detail?Id=509973&IndexCode=Culture_Object (CC BY-NC).
Über Josef Lenherrs Arbeit
Josef Lenherr, SMB, ein Musik-, Volksunde- und Liturgiewissenschaftler, wurde nach Taitung gesandt, weil die Kirchenleitung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gefordert hatte, einheimisch zu werden.
Josef Lenherr sammelte die Lieder des indigenen Amis-Volkes an der Ostküste in Taitung. Dafür brachte er den acht SMB-Missionaren bei, wie man Musiknoten aufschreibt. Ebenfalls sollten sie kleine Tonbandgeräte zur Hand haben, damit sie jederzeit die Lieder der lokalen Bevölkerung aufnehmen konnten, um sie als Grundlage für die Schaffung von Kirchenliedern verwenden zu können. Josef Lenherr komponierte deshalb selbst keine Lieder, damit so das lokale traditionelle Liedgut bewahrt und inkulturiert werden konnte.
Bevor Amis-Kirchenlieder komponiert wurden, übersetzten Hermann Brun und Josef Lenherr die Texte der Lieder in die Amis-Sprache. Dann baten sie die Missionare, ein passendes Amis-Lied auszuwählen und kombinierten den Amis-Liedtext mit der Amis-Liedmelodie wie z.B. das Loblied 64, bei dem die Liedmelodie des Erntetanzes als Liedmelodie des Kirchenliedes diente.
Das Kirchengesangbuch «Hmeken ita ko Wama» (Lasst uns preisen den Herrn), eine Sammlung von Amis-Liedern, wurde im November 1975 veröffentlicht. Es kam durch das Bemühen von Hermann Brun und anderen SMB-Missionaren zustande.
Über Mei-Chen Chen
Mei-Chen Chen besitzt einen Doktortitel in Ethnomusikologie von der UCLA. Ihre Forschungsinteressen konzentrieren sich auf historische Musikaufnahmen aus Taiwan sowie auf kulturpolitische Massnahmen und lokale Praktiken im Zusammenhang mit dem immateriellen Kulturerbe, insbesondere in Bezug auf die traditionellen darstellenden Künste. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Regierungsbehörden und lokalen Gemeinschaften bei Projekten zur kulturellen Überlieferung, Erhaltung, Ausstellung und Forschung in Taiwan. Sie ist auch eine professionelle Guzheng (chinesische Zither) Spielerin.