Abschied von Ulrich Scherer (* 13.7.1934; † 31.12.2020), Bethlehemmissionar SMB.
Lebenslauf
geboren | 13. Juli 1934 |
Priesterweihe | 26. März 1961 |
Immensee: Werbedienst der SMB | 1961 – 1963 |
Taiwan: Taiwanesisch-Studium und Seelsorge | 1963 – 1967 |
Immensee: Werbedienst der SMB | 1967 – 1971 |
Taiwan: Chinesisch-Studium, Seelsorge in Taidong und auf der Orchideeninsel | 1971 – 1980 |
Seelsorge in Gaoxiong und auf der Orchideeninsel (bis 1989), Präses der Cursillo-Bewegung | 1980 – 2018 |
Immensee: Pension | 2018 – 2020 |
verstorben | 31. Dezember 2020 |
«Freuet euch allezeit!»
Nachruf (von Josef Meili SMB)
Liebe zum Abschied von Ueli Scherer Versammelte, es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, an einem Gedenkgottesdienst für einen Verstorbenen das Weihnachtsevangelium (Lk 2,8–14) zu wählen. Aber ich meine, dass die frohe Botschaft der Engel an die Hirten, d.h. die frohe Botschaft an die Welt, zu Ueli passt, denn das Ziel seiner missionarischen Tätigkeit war immer, den Menschen in Taiwan eine frohe Botschaft zu verkünden und diese frohe Botschaft auch zu leben. Diese Botschaft der Freude, des Friedens, der Befreiung, soll den Menschen in Taiwan neue Perspektiven, Lebensmut und sprudelnde Lebensfreude schenken. Gottes lebenspendende und barmherzige Zuwendung zu uns Menschen prägten Uelis missionarisches Wirken. Dazu hat sicher die Erfahrung in seiner Familie sehr viel beigetragen. Dieser Erfahrung wollen wir zuerst etwas nachgehen:
Erfahrungen in der Familie
Ueli Scherer erblickte am 13. Juli 1934, als drittes Kind der Familie Scherer-Ramoser das Licht der Welt und wuchs mit seinen drei Geschwistern Franz, Louis und Theres am Fuss des Uetlibergs auf. Sein Vater Franz war als Portier bei der damaligen Fettwarenfabrik SAIS bei der Geschäftsleitung an der Bahnhofstrasse in Zürich angestellt. Seine Mutter Theres stammte aus Klobenstein im Südtirol. Uelis Eltern lernten sich in Rom kennen, wo sein Vater mehrere Jahre unter Papst Pius XI in der Schweizergarde diente, während seine Mutter in einem Römer Privathaushalt tätig war. Der Herkunftsort der Mutter ermöglichte später wunderschöne Ferien für die ganze Familie – im Südtirol.
Die Primarschule besuchte Ueli im Schulhaus Friesenberg. Der Wunsch, selbst Missionar zu werden, wurde geweckt durch die Missionssonntage, an denen Missionare von ihren Erlebnissen erzählten wie u.a. von gebratenen Ameisen, was Ueli mit seinen Brüdern sofort ausprobierte, leider ohne Erfolg. Solche und andere Geschichten wie auch Lausbubenstreiche schrieb Ueli dann später ins monatlich erscheinende Pfarrblatt der Pfarrei in Taitung, Taiwan. Die Pfarreiangehörigen warteten jeweils buchstäblich darauf.
In der Pfarrei St. Theresia war Ueli eifriger Ministrant und begeisterter Jungwächtler, daneben ein Lausbub, der bei Streichen immer gerne mitmachte. Den Schulhausabwart ärgerte Ueli einmal, indem er alle Papierkörbe in einigen Schulzimmern auf die Böden ausleerte. Der Abwart verpasste wegen dieser Untat versehentlich Uelis Bruder Louis eine kräftige Ohrfeige, weil die beiden sich wie Zwillingsbrüder glichen und so eine Verwechslung möglich war.
Ueli war sportlich sehr talentiert und kletterte auf viele Bäume, um öfters seine Hosentaschen mit feinem Obst zu füllen. In einem Jungwachtlager in Seelisberg pflegte er diese Gewohnheit weiter, wurde dabei von einem gewissen Fridolin Stöckli beobachtet, der als Theologiestudent der SMB ein Praktikum in diesem Jungwachtlager absolvierte. Ueli kassierte dafür von ihm eine Ohrfeige, was im Nachhinein als Berufung zur Missionstätigkeit interpretiert werden darf.
Zum missionarischen Werdegang in der SMB
Nach einem Jahr Sekundarschule begann Ueli im Progymnasium Rebstein mit der Mittelschule, ein Jahr später folgte das Gymnasium in Immensee, das er 1954 mit der Matura erfolgreich abschloss. Im Priesterseminar Schöneck ob Beckenried oblag Ueli dem Studium der Philosophie und Theologie, das aber immer wieder von spannenden Erlebnissen und Erfahrungen geprägt war. So blieb das Klettern ein Hobby von Ueli, wobei er von den Bäumen auf die Bergspitzen wechselte, unter anderem aufs Matterhorn, zusammen mit Martin Holenstein sel. (SMB), und auf viele andere Gipfel im Wallis, im Bündnerland und in den Dolomiten. Auch das Skifahren beherrschte er perfekt, was er im Militärdienst als Träger des Hochgebirgsabzeichens unter Beweis stellte. Ueli war auch eine Wasserratte; während der Studienzeit im Priesterseminar wagte er an einem schönen, studienfreien Nachmittag einen heimlichen Schwimmausflug von Beckenried nach Gersau und zurück, also etwa zehn Kilometer. Glücklicherweise kam er heil zurück und kein Oberer des Seminars erfuhr von dieser unerlaubten Schwimm-Exkursion.
Am 26. März 1961 wurde Ueli von Bischof Josephus Hasler von St. Gallen in Rebstein zum Priester geweiht. Die Primiz feierte er an Ostern desselben Jahres in seiner Heimatpfarrei St. Theresia.
Entgegen seinem Wunsch, in Kolumbien als Missionar tätig zu sein, wurde Ueli nach zwei Jahren im Informationsdienst der Missionsgesellschaft 1963 nach Taiwan ausgesandt. Zusammen mit Augustin Büchel war er sechs Wochen lang Passagier auf einem Frachtschiff. In Taiwan angekommen, lernte er Taiwanesisch bei der amerikanischen Missionsgesellschaft der Maryknoller in Taichung und fand eine gute Unterstützung bei der Familie Chang, bei der er logierte und die taiwanesische Sprache auch praktizieren konnte. Den ersten seelsorgerlichen Einsatz leistete Ueli bei seinem Mitbruder Hermann Brun sel. (SMB) in der Pfarrei Chang-Bin, wo er erste Erfahrungen im taiwanesischen Alltag sammeln konnte.
Aber schon 1968 wurde er wieder nach Immensee zurückgerufen, um im Informationsdienst sein grosses kommunikatives Talent zu verwirklichen.
Nach vier Jahren, Ende 1971, kehrte er nach Taiwan zurück, lernte Mandarin-Chinesisch und engagierte sich in der Stadtpfarrei Pao-Sang-lu in Taitung, wobei er auch drei Jahre im Regionalrat mitarbeitete. Er hatte eine besondere Gabe, mit Jugendlichen umzugehen. Neben dieser Arbeit begleitete er monatlich während mehreren Tagen die fünf Gemeinden auf der Orchideeninsel. 1981 zog er zusammen mit Gottfried Suter sel. (SMB) in die Millionenstadt Kaohsiung, der grössten Hafenstadt im Südwesten Taiwans, wohin viele Migranten von der Ostküste zogen, um dort Arbeit zu finden. Friedrich Hort sel. (SMB) hatte dort mit dieser Migrantenarbeit schon begonnen. Nach dem Tod von Friedrich Hort und dem allzu frühen Tod von Gottfried Suter baute Ueli zusammen mit guten Mitarbeitenden weiter am Aufbau einer ethnisch ganz gemischten Gemeinde: Taiwanesen, Festland-Chinesen, Angehörige verschiedener Ureinwohnerstämme, unter dem Motto: Einheit in der Vielfalt, was ihm auch gelang dank seiner persönlichen Nähe zu den Leuten und dank seiner Sprachenkenntnisse.
Ueli war viele Jahre aktiv als Präses der Cursillo-Bewegung für ganz Taiwan. Dass er von seinen Seelsorgekollegen zum Dekan gewählt wurde, und 12 Jahr Mitglied des Diözesanrates war, zeigen seine Beliebtheit und seine Fähigkeiten. Nach vielen Jahren missionarischem Leben und Arbeiten in Kaohsiung stellten sich bei Ueli Beschwerden ein, die ihn immer mehr behinderten. Seine Mobilität wurde durch ein Rückenleiden stark beeinträchtigt und seine Sehkraft liess durch die gefürchtete Makula-Augenkrankheit derart nach, so dass er kaum mehr lesen konnte. Trotzdem und mit grosser Unterstützung seiner Katechetin und den Pfarreiangehörigen konnte er noch einige Jahre als Seelsorger tätig sein. Nachdem er einen guten Nachfolger aus den Philippinen gefunden hatte, entschloss er sich vor zwei Jahren schweren Herzens, in die Schweiz zurückzukehren, wo er hier in Immensee in den letzten Monaten vom Pflegepersonal bis zu seinem Heimgang verständnisvoll begleitetet wurde.
Ueli Scherer war mein Pfarrer
Ich habe Ueli in Taiwan, in der Taitunger Stadtpfarrei Pao-Sang-Lu knapp drei Jahre lang erlebt – also eine relativ kurze Zeit – zwischen 1976 und 1979. Nachher ging ich nach Manila für ein Weiterstudium und als ich nach zweieinhalb Jahren nach Taitung zurückkehrte, war er schon in Kaohsiung im Westen Taiwans, zusammen mit Gottfried Suter bei den Migranten.
Zuerst war Ueli mein Pfarrer, ich war sein Vikar. Ueli war sehr besorgt darum, dass ich nach dem zwei-jährigen Sprachstudium möglichst viel Kontakt mit den Leuten der Pfarrei haben konnte. Wir wohnten in einem zweistöckigen Gebäude. Der untere Stock war der Gottesdienstraum und im oberen Stock wohnten wir. Die Türen der Büros waren immer offen, wenn wir zuhause waren, wie das in Taiwan üblich ist. Ueli zügelte ins hintere Büro und überliess mir das vordere. Wenn die Leute zur Stiege heraufkamen, mussten sie zuerst bei meinem Büro vorbei. Sie konnten das nicht tun, ohne mit mir ein paar Worte zu wechseln, auch wenn sie nachher zu Ueli gingen. So hat er mir als Vikar eigentlich sein Pfarrerbüro überlassen, grosszügig, wie er war. Und ich konnte dies sehr schätzen, denn so lernte ich die Leute kennen und konnte mein Chinesisch üben.
Um die Sprache weiter zu pflegen und weiter zu lernen gab mir Ueli sehr gute Tipps, die er selber auch praktizierte: Einer war, ich solle jeden Tag eine Stunde lang chinesische Schriftzeichen schreiben. Das tat ich auch und begann, die Bibel abzuschreiben. Denn die Schriftzeichen – das war die Erfahrung der Lehrerinnen und Lehrer in der Sprachschule – müssen durch die Hand über den Arm das Herz erreichen, damit man sie behalten kann. Und in der Tat. Es hatte sich gelohnt.
Ein anderer Tipp war: spannende Romane und Geschichten zu lesen, bei denen man durch die Geschichte vorangetrieben wird und nicht bei jedem Schriftzeichen, das man nicht kennt, stecken bleibt. So gehen viele Schriftzeichen in den Kopf, ohne dass man sie eigens lernt, weil man sie immer wieder sieht. Auch das bewährte sich.
Ueli hatte Zeit und nahm sich Zeit. Wir gingen fast jeden Sonntagabend nach der Abendmesse in ein kleines Restaurant, um entweder wunderbares Sassimi oder kleine geröstete Fische zu essen – mit einem Bier dazu.
Im Winter mussten wir uns gegen die Grippe schützen und so sassen wir spätabends sehr oft zusammen und genossen den recht starken Schnaps Gauliang. Das half uns, gesund zu bleiben. Der Montag war der freie Tag und der wurde auch von Ueli strikt durchgehalten.
Weiter: Ueli hatte eine starke Stimme, die sich auf verschiedene Weise zeigte.
Während der Zeit der Diktatur von Chiang-Kai-Shek war die Kontrolle durch die lokale Fremdenpolizei recht intensiv. Auf einen bestimmten Fremdenpolizisten war Ueli geradezu allergisch und wenn er jeweils auftauchte und dies oder jenes wissen wollte, gab ihm Ueli mit seiner lauten und starken Stimme deutlich zu verstehen, dass wir SMB im Dienst der Leute stehen und für das Wohl Taiwans arbeiten würden und er soll gefälligst verschwinden.
Ueli konnte auch sonst gelegentlich laut sein, wenn ihm etwas nicht passte. Für mich war es kein Problem. Es brauchte einfach etwas Geduld, bis seine Stimme wieder etwas weniger laut wurde.
Den schönsten Beitrag leistete Ueli mit seiner starken Stimme in unserem Doppelquartett, das wir SMB-Männer viele Jahre pflegen konnten. Mit seinem starken sonoren Bass gab er eine perfekte und sichere Grundlage. Wir sangen fast jeden freien Montag. So hatte mir Ueli damals eine sehr schöne, spannende, abwechslungsreiche und für mich erfolgreiche Vikaren-Zeit vermitteln können. Dafür bin ich ihm sehr, sehr dankbar!
Für mich war Ueli der ideale Pfarrer, weil er es verstand, mir die Taiwaner, ihre Sprachen, ihre Lebensweise und ihre Herzen auf seine frohe und offene Art nahezubringen, damit ich mich wirklich wohl fühlen konnte und Taiwan zu einer zweiten Heimat wurde. Ueli, Dir ganz herzlichen Dank!